Putin klaut ukrainisches Getreide

Russland exportiert große Mengen gestohlenen Getreides aus der Ukraine und verkauft es auf dem Weltmarkt - laut Völkerrechtlern ein Kriegsverbrechen. Frachtlisten belegen erstmals den Umfang und die Logistik. Unsere Satellitenbilder zeigen, dass die Schiffe nach der Deaktivierung ihres Transponders tatsächlich in Sewastopol beladen und in Tartus in Syrien angekommen sind.

Der russische Frachter "Mikhail Nenashev" ist mit seinen 170 Metern Länge ein imposantes Schiff: vier Deckkräne und eine hoch aufragende Kommandobrücke am Heck. Doch die "Mikhail Nenashev" hat eine ungewöhnliche Eigenschaft: Sie verschwindet regelmäßig von der Bildfläche; die Besatzung schaltet den Transponder aus und das Schiff sendet keine Ortungsdaten mehr.

Frachtlisten, die der NDR einsehen konnten, offenbaren nun den Grund für diese Praxis: Die "Mikhail Nenashev" ist Teil einer Frachterflotte, mit deren Hilfe die russischen Besatzer gestohlenes Getreide aus der Ukraine exportieren. Mindestens 1,8 Millionen Tonnen Getreide beabsichtigt Russland laut den internen russischen Dokumenten in diesem Jahr von dort auszuführen.

Eine Million Tonnen wurden verschifft

Seit Kriegsbeginn haben laut der Frachtlisten bereits rund 20 Schiffe, die meist unter russischer Flagge fahren, rund eine Million Tonnen aus dem Hafen Sewastopol auf der annektierten Krim ausgeführt. Die Ziele liegen meist in Russland, der Türkei und in Syrien. Aus den Listen geht ebenso hervor, dass knapp 40 weitere Transporte von Sewastopol aus noch bis Jahresende geplant sind. Die Dokumente zeigen auch erstmals die Beladedaten und -mengen für zukünftige Fahrten. Das legt nahe, dass die russischen Besatzer bereits jetzt die Logistik für den zukünftigen Diebstahl von Getreide organisiert haben.

Die russischen Transportschiffe stellen ihre Transponder den Recherchen zufolge bereits vor der Beladung aus. Noch, bevor sie die Krimhäfen anlaufen, sind sie von Karten der Ortungsdienste wie FleetMon.com verschwunden. So können die Zielhäfen schwer nachvollzogen werden. Doch durch die Auswertung von Satellitenbildern, den Bildern von Schiffsbeobachtern und den fragmentarischen Transponderdaten lassen sich die Bewegungen der Getreideflotte nachzeichnen. Amerikanische Medien hatten bereits einige russische Frachtschiffe mit dem Weizendiebstahl in Verbindung gebracht. Die dort erwähnten Schiffe tauchen auch auf den Frachtlisten des Hafens Sewastopol auf, die der NDR einsehen konnte.

Der Massengutfrachter "Mikhail Nenashev" wurde laut der Frachtlisten seit der russischen Invasion bereits sechs Mal im Getreideterminal von Sewastopol beladen. Das Schiff fährt unter russischer Flagge und ist unter einer Tochterfirma des russischen Staatskonzerns United Shipbuilding Corporation registriert. Wir konnten eine Fahrt der "Mikhail Nenashev" rekonstruieren: Am 11. September etwa fährt der Frachter durch die Meerenge bei Istanbul in Richtung Krim. Am Bosporus wird das Schiff von einem türkischen Schiffspotter bei der Durchfahrt auf Video aufgezeichnet. Am Abend des 11. September stellt die Besatzung des Schiffes nördlich von Istanbul den Transponder aus. Das Schiff verschwindet von den Ortungssystemen. 

Das Schiff verschwindet

Unsere Satellitenrecherche zeigt die "Mikhail Nenashev", wie sie am Getreideterminal von Sewastopol beladen wird. Laut den Frachtlisten wird das Schiff an jenem Tag mit 27.000 Tonnen Weizen beladen. Erst sieben Tage, nachdem das Schiff vom Ortungssystem verschwunden war, wird der Transponder wieder angeschaltet. Das Schiff ist offenbar auf dem Rückweg und fährt nun etwa 200 Kilometer südlich von Sewastopol durch das Schwarze Meer in Richtung Istanbul. Bei der erneuten Durchfahrt des Bosporus wird das nun offenbar mit Getreide beladene Schiff wiederum fotografiert. Diesmal fährt es in südlicher Richtung. Etwa 220 Kilometer vor der syrischen Küste schaltet die Besatzung erneut das Ortungssystem aus. Einige Tage später, das zeigt ein Satellitenbild, liegt der Frachter vor der syrischen Hafenstadt Tartus. Seit Russland das syrische Regime im dortigen blutigen Bürgerkrieg unterstützt, ist Syrien ein enger Partner Russlands.

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