Einchecken für Putin

Frankfurts teilstaatlicher Flughafenbetreiber Fraport steht wegen seiner Beteiligung am Sankt Petersburger Flughafen in der Kritik. Satellitenbilder zeigen nun, dass dort auch russische Militärmaschinen starten und landen. Doch der Konzern und das Land Hessen als größter Anteilseigner zieren sich vor einem Rückzug.

Mit dem Rückzug tut sich der hessische Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) bislang schwer. Das schwarz-grüne regierte Land ist mit rund 30 Prozent am Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport beteiligt, der Unionspolitiker ist dort sogar Aufsichtsratschef. Fraport wiederum hält seit etlichen Jahren eine 25-prozentige Beteiligung am Sankt Petersburger Flughafen Pulkowo. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine aber werden nicht nur in der Opposition die Stimmen laut, die auf einen Rückzug von Fraport aus Russland drängen. Doch wie gesagt, mit dem Thema Rückzug tut sich der Minister schwer.

Als Boddenberg am 4. Mai 2022 vor dem Haushaltsauschuss im Hessischen Landtag Rede und Antwort stehen musste und unter Druck geriet, verstieg sich der Minister zu einem Satz, der heute weitreichende Konsequenzen haben könnte – für die hessische Landesregierung und für Fraport. Ein Exit aus den gemeinsamen Verträgen mit den anderen Pulkowo-Eigentümern – darunter die sanktionierte russische Staatsbank VTB –, so Boddenberg, sei nur möglich, wenn der „Flughafen direkt in kriegerische Ereignisse verwickelt wäre“. Dann wäre „Force Majeure“, höhere Gewalt, im Spiel – Fraport müsste seine vertraglichen Pflichten in Pulkowo womöglich nicht weiter erfüllen.

Der Flughafen wird für russische kriegerische Zwecke genutzt –
und das Land Hessen ist beteiligt

Bislang jedoch gab es lediglich vage Hinweise für eine militärische Nutzung des Flughafens Pulkowo. Aber keine Belege dafür, dass auf dem Flughafen, immerhin der viertgrößte Russlands, tatsächlich Bomber, Transporter oder Kampfflieger landen. Bislang. Neue Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR zeigen nun, dass Pulkowo spätestens seit vergangenem Jahr sehr wohl von Russland militärisch genutzt wird, womöglich sogar im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Damit nun geraten Boddenberg und die hessische Landesregierung in die Defensive: Zumal da zwei Maschinen, die auf Satellitenbildern von Pulkowo zu identifizieren sind, ausgerechnet der berüchtigten Wagner-Söldnertruppe von Jewgenij Prigoschin zugerechnet werden – und später von den USA sanktioniert wurden.

Am 11. Juni 2022, also nur wenige Wochen nach Boddenbergs Rede vor dem Haushaltsausschuss, nutzte ein Transportflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 Pulkowo für Start und Landung.

Die Maschine mit der Kennung RA-78835 wurde im Mai 2023 vom US-Justizministerium auf die Sanktionsliste gesetzt. Begründung: Der Flieger gehöre der 224th Flight Unit, einem „staatlichen Unternehmen, das von Russlands Luftwaffe ausgekoppelt worden ist, um kommerzielle Cargo-Transporte“ durchzuführen und „das Wagner-Personal und -Ausrüstung transportiert hat in Länder, von denen bekannt ist, dass Wagner dort tätig ist“.

Satellitenbilder zeigen, dass nur wenige Wochen nach dem Besuch der Il-76 in Pulkowo eine weitere Wagner-Maschine den Flughafen nutzt.

Dieser inzwischen mit Sanktionen belegte Flieger ist am Flughafen Pulkowo eindeutig identifizierbar – eine Antonow An-124. Auf Fotos vom 12. Juli 2022 ist die Maschine mit der Registrierungsnummer RA-82014 zu erkennen. Auf Fotos vom 12. Juli 2022 ist die Maschine mit der Registrierungsnummer RA-82014 zu erkennen. 

Die USA führen sie im Sanktionskatalog vom Mai 2023 ebenfalls als „Property in Which 224th Flight Unit State Airlines Has an Interest“ – also als eine der Maschinen, die für die Wagner-Truppen geflogen ist. Dieser Flugzeugtyp wurde Ende der 1970er-Jahre als großes Transportflugzeug für die Streitkräfte konzipiert und kann spielend schwere Lkws, aber auch ganze U-Boote oder gepanzerte Kettenfahrzeuge befördern.

2023 wurde die RA-82014 auch über Syrien und über Afrika gesehen, in Ländern also, in denen Wagner-Truppen stationiert sind.

Die USA und andere Länder werfen Wagner und ihrem Anführer in der Ukraine schwere Kriegsverbrechen vor, beispielsweise während der Besatzung von Bachmut, wo Söldner einem Deserteur mit einem Vorschlaghammer den Kopf einschlugen und sich dabei auch noch filmten. Auch in Syrien und in Afrika soll die Truppe an Gräueltaten beteiligt gewesen sein. In der Zentralafrikanischen Republik etwa kämpfen die Russen an der Seite der Truppen von Präsident Faustin-Archange Touadéra mit aller Brutalität gegen Rebellengruppen. Die Wagner-Leute sind auch in Mali und Libyen aktiv.

Wie kann es also sein, dass ein deutscher Konzern, der auch noch teilweise in staatlicher Hand ist, weiter Anteile an einem Flughafen hält, der von russischen Söldnertruppen für kriegerische Zwecke genutzt wird?

Lange hatten Hessens Landesregierung und Fraport Zeit, Informationen über die Flugzeugbewegungen in Pulkowo einzuholen. Am 6. März stellte die hessische FDP im Landtag eine kleine Anfrage: Ob man in der Landesregierung Erkenntnisse habe, dass der Sankt Petersburger Flughafen mit Blick auf den Ukraine-Krieg auch militärisch genutzt werde? Die Antwort kam mehr als einen Monat später und war ebenso knapp wie abschmetternd: „Nein. Weder Fraport noch die Landesregierung haben neue Erkenntnisse zu diesem Thema. Gleiches gilt für das Auswärtige Amt, bei dem sich das Hessische Ministerium der Finanzen aktuell erneut erkundigt hat.“

Doch das ist so offenbar nicht die ganze Wahrheit. Das Auswärtige Amt erklärt auf SZ-Anfrage, man habe „im April 2022 und im März 2023 mit dem Hessischen Ministerium der Finanzen zur Frage der Nutzung des Flughafens Pulkovo im Zusammenhang mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine in Kontakt“ gestanden. Allerdings: „Die übermittelten Informationen sind als Verschlusssache eingestuft.“ Will heißen: Offenbar verfügte das Ministerium über Geheimdienstinformationen von Partnerdiensten des Bundesnachrichtendienstes.

Es sieht so aus, als habe man in Wiesbaden nicht so genau hingeschaut. Denn auch am Tag der Anfrage der FDP hob in Pulkowo eine Tupolew Tu-22M3 ab. Ein Langstreckenbomber, der normalerweise mit Ch-22- oder Ch-32-Marschflugkörpern bestückt ist, wie sie von Russland im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Ein Militärblogger hatte am 7. März stolz über ihre Ankunft einen Tag zuvor berichtet – eine Notlandung wegen schlechten Wetters sei es gewesen, hieß es zunächst. Doch rückwirkend gibt es dafür keinen Hinweis.

Satellitenbilder bestätigen, dass die Tupolew tatsächlich an diesem Tag in Pulkowo Station gemacht hat. Fotos von dem Bomber vom Tag seiner Ankunft zeigen etwas, das deutlich nach zwei Ch-Marschflugkörpern aussieht, die unter der Tupolew angebracht sind.

Die Experten von Oryx, einer auf Verteidigungsanalysen spezialisierten Plattform, bestätigten SZ, NDR und WDR nach einer Analyse der Bilder, dass auf den Fotos zwei Marschflugkörper vom Typ Ch-22 zu sehen sind. Auch wenn vieles dafürspricht – ob und inwiefern die genannten Maschinen tatsächlich im Ukraine-Krieg eingesetzt worden sind, kann durch die Bilder nicht belegt werden.

Hätten also Fraport und die Landesregierung mit relativ einfachen Mitteln erkennen können, dass die Russen Pulkowo für Starts und Landungen von Militärflugzeugen nutzen?

Auszusteigen sei nicht so leicht, sagt Fraport. Sanktionsexperten sagen das Gegenteil

Aus Sicht der Opposition geraten Regierung und Konzern nun in Erklärungsnot. „Minister Boddenberg muss sich fragen lassen, wie viele Indizien die schwarz-grüne Landesregierung noch braucht, um der Beteiligung am Flughafen Pulkowo ein Ende zu setzen“, sagt die hessische FDP-Politikerin Marion Schardt-Sauer. Und fragt, warum die Landesregierung im Frühjahr 2022 nicht selbst Satellitenbilder angefordert habe, um sich „über die tatsächliche Nutzung des Flughafens zu informieren“.

Fraport antwortet auf Anfrage, dass dem Konzern nicht bekannt sei, dass die Flughafenbetriebsgesellschaft Militärflüge im Zusammenhang mit laufenden Kriegshandlungen abwickle. Unmittelbar aus dem Projekt auszusteigen, sei nicht möglich. Pulkowo sei ein Flughafen der zivilen Luftfahrt. Grundsätzlich gelte jedoch, dass jeder zivile Flughafen weltweit im Sonderfall auch militärisch genutzt werden könnte, so der Konzern.

Vielleicht haben alle Seiten auch nur Angst, dass ein Ausstieg aus der Flughafen-Betreibergesellschaft von Pulkowo schmerzliche Schadensersatzforderungen der Russen mit sich bringen würde. Juristisch jedenfalls, da sind sich Sanktionsexperten einig, könne man aus dem nach englischem Recht geschlossenen Vertrag mit den anderen Eigentümern aussteigen, zumal Fraport die Beteiligung intern längst bilanziell abgeschrieben hat.

Also lieber verdrängen, schweigen, aussitzen – so geht das nun schon seit fast zwei Jahren. Seit SZ, WDR und NDR über die „Pandora Papers“ berichteten und zum ersten Mal die Fragen nach der militärischen Nutzung von Pulkowo stellten. Doch bis heute bleibt Minister Boddenberg dabei: Es gebe weiterhin keine belastbaren Erkenntnisse, die eine Nutzung des Flughafens Pulkowo für russische Militäreinsätze in der Ukraine belegen oder gar beweisen könnten. An dieser Lageeinschätzung habe sich auch nach wiederholter Kontaktaufnahme mit dem Auswärtigen Amt nichts verändert. Fraport habe keine Exit-Möglichkeit. Ob dem wirklich so ist? Aber wie gesagt, der Mann hat offenbar so seine Probleme mit dem Rückzug.

Partner:

Süddeutsche Zeitung