Steckt in Deinem T-Shirt Zwangsarbeit?

Schon lange gibt es den Verdacht: Baumwolle in Top-Modemarken soll unter Zwangsarbeit geerntet worden sein. In der entlegenen Provinz Xinjiang im Westen Chinas unterdrückt die KP Minderheiten wie die Uiguren systematisch. Unsere Satellitenanalyse beweist, dass in der Region um Kashgar 96 Prozent der Baumwollfelder von Menschen und nicht von Maschinen geerntet wurden. Vor allem dort wächst die hochwertige Baumwolle für den Export. Und dort liegen die meisten Internierungslager. Diese Recherche ist für den Deutschen Reporterpreis nominiert.

Neun Zeitzonen und über 5.000 Kilometer trennen die Innenstädte von Berlin und Hamburg mit ihren Geschäften voller Sport- und Luxusmarken von der chinesischen Region Xinjiang. Und doch sind die Orte miteinander verbunden: Im Nordwesten Chinas wird weltweit gefragte Baumwolle angebaut, geerntet und verarbeitet. Und dieser Recherche zufolge findet sich das daraus gesponnene Garn offenbar in Kleidung deutscher Modemarken: Adidas, Hugo Boss, Puma, Jack Wolfskin und Tom Tailor.

An sich wäre das kein Problem, bestünde nicht der Verdacht, dass die Baumwolle aus Xinjiang durch Zwangsarbeit gewonnen wird. In der chinesischen Region hat die Regierung von Staatspräsident Xi Jinping über Jahre ein industrielles System der Unterdrückung aus Arbeitslagern und Gefängnissen geschaffen. So schuften vor allem Angehörige muslimischer Minderheiten für das chinesische Wirtschaftswunder. Uiguren, Kasachen, Kirgisen und andere, die aus Sicht Pekings die Einheit der Volksrepublik gefährden. In Xinjiang will man sie offenbar umerziehen – und beutet sie systematisch aus.

USA stellt Baumwollen aus Xinjiang unter Strafe

Wegen dieser Vorwürfe haben die USA seit Januar 2021 den Import von Baumwollprodukten aus Xinjiang unter Strafe gestellt. Deutsche Unternehmen wie Hugo Boss, Adidas und Puma hatten damals versichert, aus der Region keine Baumwolle zu beziehen – oder dies künftig nicht mehr tun zu wollen. Doch wie glaubhaft sind solche Behauptungen angesichts der Tatsache, dass ein Fünftel der weltweit produzierten Baumwolle aus Xinjiang stammt?

Zwangsarbeit auf Baumwollfeldern könne es schon deshalb nicht geben, weil der größte Teil der Ernte von Maschinen erledigt werde, so die chinesische Regierung. Zuletzt meldete das Staatsfernsehen, der Anteil der Maschinisierung der Feldarbeit liege bei über 85 Prozent. Unterlegt wird die Meldung mit Luftaufnahmen von Erntemaschinen, die über die scheinbar endlosen Plantagen des Tarim-Beckens walzen.

Eine detaillierte Auswertung unserer Satelliten-Daten legt hingegen nahe, dass die Zahlen der chinesischen Regierung geschönt sind. Dafür haben wir die gesamte Anbaufläche Xinjiangs untersucht. Eine Fläche vier Mal größer als Deutschland. Grundlage der Analyse waren die Aufnahmen des Satelliten Sentinel-2, der im Auftrag der ESA auch Xinjiang regelmäßig überfliegt.

Im ersten Schritt haben wir bestimmt, wo exakt in Xinjiang Baumwolle angebaut wird. Den Schlüssel dazu lieferten visuelle Hinweise während der Aussaat im Frühjahr 2021. Die Ergebnisse haben wir mit statistischen Daten aus den offiziellen Jahrbüchern der chinesischen Regierung abgeglichen. Danach haben wir die Muster analysiert, nach denen die Felder während der Ernte im Herbst ihre Farbe änderten. Ein rascher Wandel von weißer Baumwolle zu brauner Erde ist ein Indiz für die Ernte mit Maschinen. Eine langsame Ausdünnung weist hingegen auf mühsame Ernte von Hand hin.

Das Ergebnis: Laut Satelliten-Analyse wurde 2021 etwas mehr als ein Drittel der Baumwolle in Xinjiang per Hand gepflückt. Deutlich mehr, als die chinesische Regierung behauptet.  Insgesamt  haben wir 2,7 Millionen Hektar untersucht, etwas mehr als 900.000 davon wurden per Hand geerntet. Das entspricht ziemlich genau dem, was die Türkei und Australien zusammen ernten.  Beide Länder gehören zu den zehn weltweit größten Produzenten von Baumwolle.

Besonders hoch ist der Anteil von Handernte dort, wo die meisten Uiguren leben: im Süden von Xinjiang, rund um die Großstadt Kaschgar. Laut Satelliten-Analyse werden dort rund 96 Prozent der Baumwolle per Hand gepflückt. Brisant ist das auch deshalb, weil in diesem Gebiet der Großteil von Chinas langfaseriger Baumwolle wächst, die als besonders hochwertig gilt und deshalb exportiert wird.